Und es ist etwas Besonderes an diesem Buch, denn Durling hat das Kunststück vollbracht, gewissermaßen einen postmodernen Krimi zu einem Zeitpunkt zu schreiben, in dem es das Attribut noch lange nicht gab (weder in den Köpfen der Theoretiker noch in den Sprechblasen der Feuilletonisten, die es geschafft haben, uns den Begriff längst zu vergällen).
Erzählt wird die Geschichte der Rekonstruktion eines Mordes - gleich
drei Autoren unterziehen sich dieser Mühe: ein pensionierter Drucker,
ein Polizeibeamter, ein Arzt vor dem Ruhestand. Ersterer und letzterer
bilden mit dem Vater des zweiten einen Club, in dem sie Kriminalromane
zu diskutieren pflegen. Als jener Vater allerdings eines Abends von den
Ermittlungen seines Sohnes in einem leibhaftigen Mordfall berichtet, gibt
es für sie die ganze Nacht über nur noch ein Thema, bis sie,
nach dem sie etliche Zwischenlösungen wieder verworfen haben, eine
konsistente Theorie über die Geschehnisse entworfen haben
Der ehemalige Drucker verfaßt ein Protokoll, das den ersten Abschnitt
des Buches bildet und auf sehr geschickte Art die Aura der Klassiker des
golden age widerbelebt - und der Protokollant versäumt es auch nicht
alle Namen zu nennen: sein persönlicher Held ist Freeman Wills Crofts,
gemeinsam verehren alle drei vor allem John Dickson Carr. Und daß
sie glauben es mit locked room mystery zu tun zu haben, gibt ihnen dabei
natürlich den rechten Kick, was als Andeutung hier stehen mag für
die feine Ironie, mit der Durling dieses erste Drittel seines Buches durchwoben
hat (die in ihrem Maß beispielsweise der Ironie Agatha Christies
gleichkommt, wiewohl sie hier freilich einen gewissen Metacharakter hat).
Bemerkt werden sollte vielleicht noch, daß es dem Erzähler mühelos gelingt, vom Leser nach drei Seiten schon nicht mehr sonderlich gemocht zu werden, was eine eigenartige Ambivalenz erzeugt, die noch gesteigert wird, als der Polizist den zweiten Teil des Buches beginnt, in dem nahezu alles anders ist als im ersten - mit der einzigen Ausnahme, daß der Erzähler erneut alles andere als Symphat und Identifikationsfigur ist. Wieder destilliert Durling sorgsam die Charakteristica eines Subgenre - wir erleben einen überaus hard boiled Detective, und wieder erweist sich Durling auch als Meister von Ironie & Persiflage und läßt den Polizisten beispielsweise von einem Landausflug berichten:
Die Bauern glotzten über ihre Zäune und sahen ländlich aus. Ab und zu machten sie einen Schritt nach vorn oder zur Seite. Genau wie auf dem Schachbrett. Ab und zu waren vereinzelt Kühe aufgestellt, rote Scheunen und sonst noch allerlei. Ach, Sie wissen wahrscheinlich, wie es auf dem Land aussieht.
Der volle Witz solcher Passagen entfaltet sich natürlich wieder erst, wenn man sie als Spiegelung begreift. (Daß in diesem zweiten Abschnitt die Namen der Vorbilder nicht fallen, mag ferner als Beleg für die Konsistenz und Exaktheit von Durlings Vorgehen dienen. So einer liest schließlich nicht - wie sollte er da von Büchern sprechen?)
Der dritte Abschnitt, die Erzählung des Doktors, gleicht selbstverständlich mehr dem ersten als dem zweiten - aber weggewischt sind alle Träumereien: es zählt nur die Wissenschaft! Und mittels dieser wird der Fall, wie's scheint, gelöst... Die Pointe an dieser Stelle zu verraten, wäre vielleicht genauso gemein, wie einem Kinogänger momentan zu erzählen, welches Ende Die üblichen Verdächtigen nehmen - also lassen wir es sein. (Obwohl wir bekennen müssen, daß man sie im Prinzip dem zweiten Abschnitt dieses Artikels entnehmen kann.)
Ulf Durlings Nach dem Essen sollst du ruhn ist für jeden
klugen Krimileser ein Muß. Zu vergleichen ist das Buch vielleicht
am ehesten mit Stephan Kaisers Der Mord als schöne Kunst betrachtet,
mit dem es die Eigenschaft teilt, nach längerer Zeit erst jetzt (wieder)
entdeckt worden sein. Und daß sich in Durlings Buch ein Vorwärtszitat
aus Kaisers Mord befindet (der ein paar Jahre später geschrieben
wurde), gehört da einfach zu jenen Dingen, die nur Uneingeweihten
wundersam erscheinen.